Ana Adamovic,Marwa Arsanios,Bank of No,Sofia Bempeza,Banu Cennetoglu,Marianna Christofides,Tom Dale,Haris Epaminonda,Hackitectura,Lia Haraki,Timo Herbst & Marcus Nebe,Elizabeth Hoak-Doering,Eleni Kamma,Mahmoud Khaled,Zissis Kotionis,Mona Marzouk,Panayiotis Michael,Christodoulos Panayiotou,Nira Pereg,Polys Peslikas,Alexandros Pissourios,Ran Slavin,Paola Yacoub

Seit mehr als fünf Jahren geht das Gespenst der Krise in Europa um. Es begann als Bankenkrise, wuchs sich zu einer Staatsschuldenkrise aus und verursachte Wirtschafts- und Regierungskrisen - und nicht nur in Griechenland, Spanien, und Zypern. In den Augen der Länder Nordeuropas sind diese Staaten selbst verantwortlich für ihre Schulden: Die harten Sparmaßnahmen werden nicht als nur nötig, sondern auch als fair und gerecht betrachtet. Der Süden sieht sich durch diese - trotz inneren Widerstands durchgesetzten - Sparmaßnahmen jeder Gestaltungsfreiheit und Generationen um ihre Zukunft beraubt. Spätestens mit den Fluchtbewegungen nach Mitteleuropa und Großbritanniens Entscheidung für den Brexit, wurden die inneren Fliehkräfte der europäischen Einheit offenbar. Die daraus resultierenden, politischen wie gesellschaftlichen Ungleichgewichte bedrohen gute wie schlechte Errungenschaften eines geeinten Europas. Grenzanlagen entstehen quer durch den Kontinent. Rechte, populistische und anti-demokratische Bewegungen sind allgegenwärtig und bestimmen auch in Deutschland längst das politische Tagesgeschäft.

Das von Südeuropa, Vorderasien und Nordafrika umschlossene Mittelmeer, die »Terra Mediterranea«, bildet seit alters her einen »flüssigen« Kontinent des Transfers von Menschen, Kultur und Ideen - ob friedlich oder kriegerisch - und eignet sich nicht als Wassergraben einer Wohlstandsfestung. Der Süden erscheint als irrationaler Unterleib Europas, der Unordnung, Grenzverletzungen und koloniale Gespenster mit sich bringt, sich aber gleichzeitig auf eine gemeinsame, mythisch glorreiche, antike Vergangenheit bezieht. Lange Zeit vom Westen als orientalischer Hort von Korruption und Rückwärtsgewandtheit herabgestuft, ist er unweigerlich in den Fokus politischen Weltgeschehens gerückt. Vielleicht weist aber gerade das Verbindende den Ausweg aus der Krise, eine Mittelmeerunion als Ergänzung der EU, die die Entkolonialisierung abschließt, und der Jugend einen Ausweg aus Stagnation, Armut, Autoritarismus und Gewalt bietet.

Diese Ausstellung setzt auf das verbindende Potential der Kunst als geistige Mittlerin und versammelt 23 Künstler aus 14 Ländern, um sich möglichst viele Perspektiven - aus politischen, kritischen und poetischen Haltungen heraus - auf diese turbulente Phase und ihre Vorgeschichten zu öffnen. Als »Mögliches, das das Werdende einschließt« eröffnet sie dabei Horizonte ebenso reicher wie widersprüchlicher historischer und kultureller Traditionen. »Terra Mediterranea: In Action" hinterfragt bestehende Stereotype und fixe Vorstellungen von Finanzen, Sicherheit sowie Identität und gibt unbekannten, widerständigen und aktivistischen Stimmen die Möglichkeit, gehört zu werden.

Kuratiert von Michael Arzt (HALLE 14) & Yiannis Toumazis (NiMAC)

KÜNSTLER

Ana Adamovic

Hannah Arendt publiziert 1943, zehn Jahre nach ihrer Flucht vor dem nationalsozialistischen Regime, den vielbeachteten Aufsatz »Wir Flüchtlinge«.Sie äußert sich darin erstmals zu ihrer Fluchtgeschichte und bettet sie in einkollektives »Wir« ein: Wir, das jüdische Volk, und Wir, die idealen Immigranten, die die bedingungslose Assimilation gelebt haben. Arendt fordert ein neues, politisches Selbstbewusstsein. »Unsere Identität wechselt so häufig, dass keiner herausfinden kann, wer wir eigentlich sind und das bedeutet den Zusammenbruch unserer privaten Welt«. Heute hat der Text eine ganz neue Relevanz. Millionen Menschen aus Nordafrika und dem Nahen Osten zwingt die prekäre Lebenslage, Krieg, Verfolgung und Armut auf die Flucht. In den Ländern, in denen sie Schutz suchen, fordert nicht nur die Gesellschaft, sondern auch der Staat eine Anpassung an die neue Kultur. Auf der Bühne sitzen Jugendliche, beinahe noch Kinder. Sie sind Schauspieler des englischsprachigen Theaters in Belgrad, deren Auftritt an einen Chor erinnert. Tatsächlich ist der Chor ein wiederkehrendes Motiv im Werk der serbischen Künstlerin Ana Adamovic. Er vermittelt dort kollektive, kritische und historische Inhalte, wird aber auch als Instrument ideologischer Manipulation problematisiert. Die Kinderstimmen rezitieren Passagen aus Arendts Aufsatz und aus Stefan Zweigs autobiografischem Buch »Die Welt von gestern« (1942). Die jungen Schauspieler werden zum Medium der Philosophie und Literatur, der sie eine kollektive Stimme geben. »Mit uns Flüchtlingen hat sich die Bedeutungdes Begriffs 'Flüchtling' gewandelt«, so dass das Wort Flüchtling, das einst einen fast Ehrfurcht gebietenden Klang hatte, die Vorstellung von etwas zugleich Verdächtigem und Unglückseligem erregt, schreibt Arendt. Derart stigmatisiert formt sich eine eigene Flüchtlingsidentität, hinter der die alte und die zukünftige persönliche Geschichte verschwinden. Die Gemeinschaft der europäischen Völker zerbrach, so Arendt, als - und weil - sie den Ausschluss und die Verfolgung seines schwächsten Mitglieds zuließ. Arendt meinte das jüdische Volk in der Diaspora. Adamovic erweitert Arendts Ansatz: Jeder kann jederzeit zum Flüchtling werden. Ihr Videoprojekt mahnt sowohl eine Wiederholbarkeit der Geschichte an, als auch die Pflicht, Leidtragende zu schützen.

Marwa Arsanios

»Es begann mit der Faszination für ein Objekt, das ziemlich speziell ist«:  recht plump, aber anziehend und vielschichtig. Marwa Arsanios meint ein Strandhaus an der südlichen Küste Beiruts, das dort Anfang der 1950er Jahre errichtet worden war: Chalet Raja Saab. Es war Teil eines ganzen Areals namens Acapulco, wo bis zum Ausbruch des Libanesischen Bürgerkrieges (1975-90) internationale Stars und Sternchen feierten. Durch das zentrale Auge des Rundbaus schraubte sich eine im Parterre freistehende Wendeltreppe in das obere Geschoss. Deswegen wurde das Anwesen auch »Donut« oder »Raumschiff« genannt. Heute ist von dem einstigen Zeugnis der libanesischen Moderne kaum noch etwas zu erkennen. Um weitere Wohnfläche für seine neuen Bewohner zu gewinnen, wurden in den 1980er Jahren Wände zwischen die freistehenden Stützen gezogen. Fortan lebten hier Menschen, die aus dem Süden des Landes und aus Palästina geflohen waren. Arsanios begibt sich auf Spurensuche. Mit dem 2009 begonnenen Projekt »All About Acapulco« legt sie ein Archiv aus Dokumenten rund um das Gebäude an. Sie befragt Zeugen und erkundet in kriminalistischer Sorgfalt den »Tatort«. Anhand eines Modells rekonstruiert sie die vormalige Architektur und geht mit dem Film »I've heard three stories« ihren Geschichten nach: Arsanios interviewt eine Familie, die heute in der Anlage lebt. Mit Samia, die dort vor 30 Jahren ankam, rekonstruiert sie die An- und Umbauten des Chalet Raja Saab. Sie trifft den ehemaligen Eigentümer des Acapulcos, der von der vergangenen, schillernden Welt berichtet und sie stößt auf das mysteriöse Verschwinden von Nora, einer Tänzerin des dort einst angegliederten Nachtclubs »Crazy Horse«. Die wackeligen Aufnahmen ihrer Handkamera konfrontieren den gegenwärtigen Zustand der Anlage mit den Berichten der Bewohner. Arsanios verfolgt Spuren, die der Bürgerkrieg in der libanesischen Gesellschaft, im Bewusstsein und an der Architektur hinterlassen hat. Ihre Bilder bleiben fragmentarisch und spekulativ. Sie befragt eine unübersichtliche Geschicht eder Kriegswirren und nähert sich ihnen anhand von einzelnen Begebenheiten und Schicksalen. Arsanios gehört einer Künstlergeneration der Nachkriegsgeschichte an, die die konventionelle Historiographie und das Dokument als wahrhaftiges Zeugnis der Vergangenheit anzweifelt.

Sofia Bempeza

Interview mit der Künstlerin

»Akropolis adieu«, titelt Der Spiegel im Mai 2012, »Warum Griechenland jetzt den Euro verlassen muss«. Bildlich setzt das Blatt die saloppe Verabschiedung in einer Fotomontage um, die das herabgestürzte Fragment eines ionischen Kapitels vor der düsteren und wüsten Kulisse der Akropolis zeigt. Wo ursprünglich das tragende Gebälk des Tempels saß, klaffen nun die Reste einer zerbrochenen Euromünze. Die Bildsprache ist simpel: Griechenland liegt inTrümmern, ist bankrott, zahlungsunfähig und eine Belastung für die Europäische Union. Der Spiegel findet das Symbol für die Krise, vielmehr noch für den vermeintlichen Niedergang einer Kultur, im Zerfall der antiken Architektur. Dieses Beispiel ist eine von vielen Frontseiten deutscher, französischer, US-amerikanischer und britischer Zeitschriften und Magazine, die die griechische Künstlerin Sofia Bempeza zwischen 2011 und 2014 sammelte– zu einem Zeitpunkt als die sogenannte griechische Schuldenkrise noch als »das« EU-Problem an der Mittelmeerküste galt. Wie viele antike Vasen, Säulen und Skulpturen würde es wohl benötigen, um das Bild eines »Nationalstaats in der Krise« zu konstruieren, fragte sie. Die Letter E-U-R-O als Säulenordnung und Stütze der Akropolis, der sinnierende Sokratis vor der griechischen Flagge und eine Aphrodite-Statue in obszöner Pose vor der männlichen Symbolfigur der EU »La Grèce change d’avis« (Griechenland ändert die Ansicht): Das Ergebnis der Recherche ist eine monumentale, zu einer Collage zusammengesetzte Wandtapete. Bempeza dokumentiert Bilder stereotyper Stigmatisierung, die in erster Linie den Schuldner als Sündenbock innerhalb der Eurozone brandmarken. Einerseits geht es Bempeza um ein Fremdbild, das von außen auf den griechischen Staat projiziert wird. Auf der anderen Seite thematisiert sie eine symptomatische Selbstdarstellung, die die Repräsentation der griechischen Identität in die Tradition der Antike stellt, aber die jüngere Geschichte ausblendet. Darauf hebt auch die Wortschöpfung »Antikologie« ab, die das europäische Verständnis der Antike ironisch kommentiert.

Banu Cennetoglu

Interview mit der Künstlerin

Banu Cennetoglu sammelt methodisch Nachrichten– die Nachrichten des
11. August 2015 in deutschen Printmedien. Das Resultat sind 1249 Zeitungen, je ein Exemplar der nationalen, regionalen und lokalen Tageszeitungen, die sie alphabetisch ordnet, nummeriert und zu 70, in Leinen geschlagene Folianten bindet. Die Arbeit »11.08.2015« ist Teil eines Projekts, das Cennetoglu 2010 in der Türkei begann und unter anderem in Zypern und Großbritannien wiederholte. Es sichert ein Medium, dessen Materialwert und Informationsgehalt nur geringe Halbwertszeit besitzen. Die Wahl des Datums scheint bewusst zufällig. Der Schnitt durch die nationale Berichterstattung stellt sich vielmehr als eine willkürliche Stichprobe dar, anhand derer Cennetoglu das Porträt einer Gesellschaft und ihrer sozio-politischen Unsicherheiten offenlegt. Sie nutzt Empirie als künstlerisches Mittel, konterkariert aber deren angestrebte Objektivität
durch das Fragmentarische. »11.08.2015« gleicht einem Archiv, das
der äußerst eingegrenzte Sammlungsinhalt sinnentstellt. Die Zeitungen haben keinen größeren gemeinsamen Nenner als den einen Tag und das eine Herkunftsland. Nichtsdestotrotz bietet es dem Leser eine Quelle, die der formalen und inhaltlichen Analyse unterzogen werden soll, etwa im Vergleich von Artikelumfang, Platzökonomie, dem Einsatz von Farbe und dem Verhältnis von Bild und Text. Gerade letzteres beschäftigte
die Künstlerin seit ihrem Studium der Fotografie in Paris immer wieder. In
der täglichen Berichterstattung erhebt das fotografische Bild einen Realitätsanspruch, der auf der vermeintlich unverfälschten Dokumentation durch das Objektiv fußt. Es nimmt zwar eine entscheidende Interpretationsinstanz ein, aber keinesfalls eine neutrale, denn Bilder legitimieren Informationen. In einer Ausstellung im Bonner Kunstverein
Ende 2015 setzte die Künstlerin ihrer Lektüre-Installation Heliumbuchstaben mit dem Zitat des französischen Philosophen Octave Mannoni »Ich weiß zwar, aber dennoch« entgegen. Und so lässt sich »11.08.2015« auch als Kritik verstehen. Die scheinbar umfassenden– weil in einem Übermaß produzierten– Informationen der Tagespresse
bewirken nicht zwingend Reaktionen und Handeln.

Marianna Christofides

»Bilder gibt es nicht in der Natur, sondern nur in der Vorstellung und in der Erinnerung«. Marianna Christofides kehrt immer wieder an bestimmte Orte zurück, um in Langzeitstudien ideologische, politische und soziale Hintergrundprozesse aufzudecken. Es ist eine Suche nach Zeichen in der Umwelt und im Alltag der Menschen.

Sie filmt das sonntägliche Treffen tausender asiatischer Arbeitsmigranten in Nikosia, die nur für eine kurze Zeitspanne im Stadtbild präsent sind. Sie begleitet den einfachen Fischer, der akribisch sein Tagewerk an der Adriaküste verrichtet und dessen Netze oft leer bleiben.

Christofides nähert sich über suggestive Eindrücke komplexer und oft fragmentierter Geschichte. Es geht ihr um deren Dekonstruktion und die Offenlegung der Komponenten, aus denen Geschichte und damit Identitäten gebildet oder auferlegt werden. »Days in Between« ist der zweite Film in der Reihe »Works and Days«, der in Südosteuropa und in Ablehnung des klischeebehafteten Identitätskonstrukts der Region entsteht. Nachdem sich mit einem Festplattendefekt ihre ersten Aufnahmen unwiderruflich in »digitalen Staub« aufgelöst hatten, drehte Christofides erneut: »nur um zu bezeugen, dass der Ort in selber Weise nicht mehr existierte« und so beginnt »Days in Between« mit einer Leerstelle.

Er handelt von Verfall und spurlosem Verschwinden. Ein solcher Ort ist das Casino von Konstanza an der rumänischen Schwarzmeerküste– ein ikonischer Bau der osteuropäischen Jugendstilarchitektur, der seit dem Sturz CeauÅŸescus geistergleich in dem maroden Badeort verfällt. Ein solcher Ort ist auch eine Halde aus Autoreifen, die sich irgendwo vor einer Kulisse karger Hügel und verstümmelter Ruinen auftürmt.

Christofides arbeitet mit dem Wechsel von düsteren Schwarzweißaufnahmen und Farbbildern, die in schneller Frequenz aufeinanderfolgen und von stillartigen Einstellungen unterbrochen werden. Agrarlandschaften, Naturschutzgebiete, Industrie, der Alltag in dörflichen Strukturen, geologische Phänomene– über die »Textur der Landschaft« sucht sie Zugang zur Geschichte der Region. Die natürlichen Beschaffenheiten reichert sie mit einer Reflektion über die stereotype Stigmatisierung durch westliche Politik an, die mit geologischen Begriffen und geografischen Charakteristika von der Natur vermeintlich vorgegebene Machtverhältnisse definiert: die Peripherie der westlichen Hemisphäre.

Tom Dale


Das sonore Geräusch unaufhörlich zirkulierender Luft ertönt– nichts als eine aufgeblasene Hülle. Die fünf Meter hohe Hüpfburg des britischen Künstlers Tom Dale mit ihren Zinnen und Türmen ist raumgreifend und fraglos beunruhigend. Weder springen Kinder auf ihren Luftkissen, noch riecht es so charakteristisch nach Plastik wie es die quietschbunten Kinderparadiese für gewöhnlich tun. Dales Burg ist aus schwarzem Kunstleder gefertigt und unwillkürlich stellt sich die befremdliche Assoziation ein, es könne sich um ein Bondage-Produkt, vielmehr also um ein Spielzeug für Erwachsene handeln. Die Form der Türme, Material und Farbe wirken als pervertierter Kontrast der eigentlichen Funktion. Dale arbeitet mit der Absurdität, die seine Objekte durch den Bedeutungswandel im Kunstraum annehmen.

Mit einer ähnlich inhärenten Paradoxie spielt beispielsweise die Skulptur »Ball with wheel« (2005). Das Gebilde aus einer grauen Plastikkugel und einer angeschraubten Rolle kann ohne eigene Balance weder rollen noch fahren. Beide Funktionen werden ad absurdum geführt. »Department of the Interior« konterkariert in der Gestalt des schwarzen, geradezu lächerlichen Luftschlosses den repräsentativen Staatsbau eines Innenministeriums.

»Es besteht nur aus heißer Luft und seine Macht wie auch ihre Fiktion sind größer als die eigentlichen strukturellen Fähigkeiten«, beschreibt Tom Dale seine Skulptur. Mit dem Humor des Absurden parodiert die Hüpfburg Formen der Repräsentation und endlos bürokratisierte Abläufe innerhalb eines aufgeblasenen Machtapparats. Da kommen die Mühlen der Bürokratie in den Sinn, in die Kafka den Protagonisten seines Romanfragments »Das Schloss« geraten lässt. Absonderliche Regeln verhindern den Zugang zum maroden Schloss, auf den der Landvermesser K. all seine Begierde gerichtet hat. Gerade die Unerreichbarkeit scheint sein Streben zu potenzieren. 

Dales Hüpfburg löst einen vergleichbaren Effekt aus. Als »psychoaktiven« Impuls bezeichnet der Künstler den Reiz, der durch den artifiziellen Charakter des Spielobjekts hervorgerufen wird. Die unzugängliche und abgeschlossene Struktur beschreibt ein Innen und ein Außen, deren Grenze die respektgebietende Hülle bildet.

Haris Epaminonda

»Nimm zwei Bilder und sie sind neutral, doch reihe viele aneinander, so beginnen sie zu vibrieren, in sie kommt Leben«. Haris Epaminonda zitiert Robert Bresson und fasst damit einen wesentlichen Punkt ihrer Arbeit– vielleicht sogar noch auf eine andere Weise als der französische Regisseur intendiert hatte. Epaminonda stellt Bilder nebeneinander. Es sind kurze Filmsequenzen, oft aus griechischen Kitsch- und Liebesfilmen der 1960er und 1970er Jahre. Zudem filmt sie Bilder aus ethnologischen Publikationen, Geschichtsbüchern oder Magazinen ab. Die Künstlerin inszeniert vorgefundenes Bildmaterial neu. Zu Collagen und Montagen geschnitten, werden die Aufnahmen repetitiv und synchron abgespielt, Bilder verlangsamt, ihre Farbwerte verstärkt und mit einer neuen Tonspur, Klaviermusik oder leisen Geräuschen versehen.  

»Tarahi« heißt so viel wie Aufruhr. Diesen Titel trägt eine Serie von kurzen Filmsequenzen, die Epaminonda während eines Aufenthalts in Kairo vom Programm ihres Hotelzimmerfernsehers abfilmte. Bilder der heilen Seifenopernwelt der 1960er überlagert mit Feuerwerksexplosionen und die irreale Szenerie eines regungslos den Himmel betrachtenden Paares verbleiben ebenso ausschnitthaft wie ein Mädchen, dessen weiße Sandalen herangezoomt werden. Im Vordergrund steht die visuelle Kraft der Einzelszenen, die ihrem eigentlichem Erzählungskontext enthoben sind. Obwohl Epaminondas Kurzfilme eigenständige Arbeiten sind, gehen sie in der Zusammenschau eine ästhetische und suggestive Verbindung ein. Ihre Bilder sind Andeutungen, die Erinnerungen hervorrufen– zum einen ihre eigenen Kindheitserinnerungen an die griechischen Filmromanzen, die das Sonntagsprogramm bestimmten. Zum anderen nimmt sie Bezug auf Bilder eines kollektiven Gedächtnisses. 

Der Kurzfilm »Elapsed« (2006) etwa zeigt die Ansicht der antiken Stadt Soli im Nordwesten Zyperns, die Epaminonda von einer Anhöhe aus filmt. Das Kulturerbe ist gezeichnet von den Spuren, die der Zypernkonflikt und die türkische Invasion von 1974 hinterließen. Die Filmsequenzen wirken aufgrund der Verfremdungseffekte wie aus der Zeit gefallen. Sie rufen vage Bekanntes auf und wecken durch Medienkonsum konditionierte kollektive Erinnerungen.

Hackitectura


Interview mit Pablo de Soto, Gründungsmitglied von Hackitectura

Die Philosophin Christine Buci-Glucksmann schreibt, dass » jede Karte eine Reise im Denken ist, die die zurückgelegte Wegstrecke und das Territorium, Lesbares und Sichtbares durch ein Einfangen des Unendlichen im kleinsten Detail miteinander verbindet«. Die Reise im Denken eröffnet einen Weltblick, der nicht nur das Existierende registriert. Er kann auch fantastische, utopische und visionäre Bilder erfassen. 

Insofern ist die Kunst der Kartografie die Darstellung raumbezogener Informationen, vergänglicher Realitäten und auch die Darstellung von Visionen. Karten bilden nicht nur Realitäten ab, sie schaffen auch welche. Hackitectura kartografiert geopolitische Gegebenheiten und setzt ihnen politischen Aktivismus entgegen. Der Zusammenschluss aus Architekten, Künstlern und Informatikern formierte sich 1999 in Spanien und kämpft seither für den freien Zugang zu Daten, die der staatlichen Kontrolle und Überwachung entzogen werden sollen.  2004 initiierte die Gruppe ein Projekt, das in der Straße von Gibraltar restriktive Grenzpolitik und Überwachungsstrukturen zur Abwehr illegalisierter Migration aufdeckt und in einer Karte erfasst. Das arabische Wort »Fadaiat« bezeichnet einerseits das Durchschreiten von Räumen, andererseits Satelliten-Anlagen und Raumschiffe. Unter diesem Titel kamen Künstler, Architekten, Politologen, Aktivisten und Hacker beidseitig der Meerenge zusammen und organisierten ein grenzüberschreitendes Medienlabor.  Hackitectura initiiert eine neue Karte, die die territoriale Aufteilung konterkariert und Grenzen als »neue Zentren« versteht. Sie stellt die Strukturen der Kommunikation und der virtuellen Vernetzung zwischen den beiden Kontinenten dar. In der Zusammenschau zeigen die Karten ein Ringen um reale Zustände und einen visionären Ansatz der grenzübergreifenden Kommunikation. Die Karten lesen sich als ein Manifest der Diversität, als eine Alternative und Gegenstrategie zum gegenwärtigen Status quo. Es ist also nicht von ungefähr, dass die kritische Kartografie des Künstlerkollektivs das eurozentrische Bild mit einer »Südung« der Karte aushebelt. Zwölf Jahre später ist das Projekt von erschreckender Aktualität.  In einer Buchpublikation dokumentieren die Initiatoren die uneingelösten sozialen und kulturellen Visionen des »Fadaiat«. Sie agieren weiterhin in den Strukturen, in denen sie geopolitische Grenzen unterwandern und überwinden.

Lia Haraki

Video mit Mitschnitten der Performance und einem Künstlerinterview

Lia Harakis performatives und tänzerisches Vorgehen erinnert an meditative Methoden. Sie verfolgt mit ihrer Performance »Tune In« einen Prozess, der sich zwischen Bewegungen und Gefühlen entwickelt. Haraki begibt sich auf die Suche nach dem inneren Rhythmus des Körpers und des Bewusstseins. Der Vorgang ist ebenso ein Verinnerlichen wie ein Veräußerlichen.  Die Künstlerin nimmt ihren Herzschlag mit einem Stethoskop auf und macht ihn über Mikrofone im Raum hörbar. Begleitet von Musik entwickelt sie gegenwärtige Präsenz. Dieses Kontinuum beschreibt einen Zustand der inneren Ruhe, der in der Bewegung nach außen wirkt und repetitiv fortgeführt werden soll wie der Puls, der zu hören ist. Das Tanzprojekt schafft ein Bewusstsein für das Gegenwärtige– einen Zustand, der für den Betrachter fühlbar wird. Haraki betrachtet den Körper als Träger von Identität und als Subjekt, das das Potential zur Transformation hat. Sie untersucht den Prozess, wie Bewegung aus einem intuitiven Impuls heraus entstehen kann. Die Stimme verwendet sie häufig als Ton, der ebenso mit dem Körper wie mit der Performance verbunden ist. Selbst beschreibt die zyprische Tänzerin ihre Arbeiten als »visuelle Klanglandschaften und hörbare Choreografien«. Sie wirken eindringlich, manchmal sogar beängstigend. Die Performance »The truth well faked« beispielsweise wurde als Schlag in die Magengrube bezeichnet. Haraki fragt, wie es Kunst schaffen kann, über den »Horror« unserer Zeit zu sprechen. Sie beschreibt die Schuldgefühle einer Generation, die sich verantwortlich für das Sterben in unmittelbarer Nähe fühlt und appelliert an die Verantwortung derer, die nicht leiden.  

Timo Herbst & Marcus Nebe


Pfiffe, Sprechchöre und Stimmengewirr, dann wieder Ruhe– in Intervallen legen sich die Geräusche von Erregung, Wut, Verschnaufen und Resignation über dieBilder, die Timo Herbst und Marcus Nebe Anfang September 2015 am Budapester Keleti-Bahnhof aufnehmen. Seit Wochen kampieren dort Flüchtlinge unter widrigen Umständen. Die rechtskonservative, ungarische Regierung ist im Begriff, an der Grenze zu Serbien einen 175 km langen Zaun zu errichten. Trotzdem oder gerade deswegen gelangen immer mehr Menschen aus den nahöstlichen Krisenregionen durch das sich schließende Nadelöhr der »Balkanroute« nach Budapest. Sie wollen hier nicht bleiben, sondern weiter nach Österreich und Deutschland. Am Morgen des 1. September räumt und verriegelt die ungarische Polizei das Bahnhofsgebäude. Alle interkontinentalen Züge werden gestoppt und 3.000 Geflüchteten die Ausreise verweigert. Auf dem Bahnhofsvorplatz kommt es zu Protesten. Flüchtlinge, Polizei, zivile Helfer und eine ganze Armada von nationalen und internationalen Berichterstattern stehen sich gegenüber. Die Aufnahmen der beiden Künstler unterscheiden sich von den Pressebildern, die die Weltöffentlichkeit massenhaft erreichen. Sie filmen die Filmenden: Vor der Kamera posierende Reporter, Profi-Equipment und die Konfrontation aufeinander gerichteter Objektive– denn nicht nur Journalisten dokumentieren die Geschehnisse, sondern auch die Handykameras der protestierenden Menschen. »Sie müssen sich an die Regeln halten«, ruft einer der Journalisten, um andere aus seiner Einstellung fernzuhalten. Herbst und Nebe stehen in der Menge und zuweilen hinter den Reihen der Kameras. Ihre Aufnahmen sind Stimmungsbilder. Sie erfassen eine Dynamik, die sich in den Gesten der Interaktion und Konfrontation aufbaut und sich im Licht der unterschiedlichen Tageszeiten widerzuspiegeln scheint. Es ist ein Blick hinter die Kulissen, ein Blick auf das Setting, das Herbst und Nebe mit ihrer Arbeit play by rules aus Stativen, Leinwänden und Beamern nachstellen. Die Kommunikation zwischen den Parteien auf dem Vorplatz des Keleti-Bahnhofs greift so auf den Ausstellungsraum über. Als bühnenartige Inszenierung verzahnt sie den alltäglichen, öffentlichen Raum, der zum Raum des Ausnahmezustands wurde, mit dem Kunstraum.

Elizabeth Hoak-Doering

Die an Seilen hängenden Möbel schaben, knarzen und kratzen. Ihre Schwingungen hinterlassen Spuren auf dem Untergrund: Linien, Ellipsen, sich verdichtende Bahnen und Interruptionen. Die unterschiedlichen Formen und Gewichte der Gegenstände erzeugen Bewegungsverläufe, die vergleichbar mit einer Handschrift ganz eigene Linien produzieren. So lässt sich etwas von den Mysterien, die ein Objekt in sich birgt, erahnen. Elizabeth Hoak-Doerings Installation ist ein abgesteckter Versuchsaufbau für ihre phänomenologische Untersuchung. Der Zufall als künstlerische Methode ist im Zusammenwirken von Mobiliar, Besuchern und Raum von zentraler Bedeutung. Der Mechanismus des ungesteuerten Zeichnens der Möbel erinnert an den psychischen Automatismus des »dessin automatique« von André Masson. Er und andere Surrealisten suchten im künstlerischen Spiel eine wissenschaftliche Praxis zur unmittelbaren und ungefilterten Übertragung eines Bewusstseinszustands. Hoak-Doerings Zeichenautomaten bringen Alltagsobjekte zum Sprechen. Können sich Möbel an das erinnern, was um sie herum geschieht? Die Anthropologin und Künstlerin begreift das Objekt als Zeuge in Wohn- und Arbeitsräumen, wo sich Menschen unterhalten und so Geschehnisse und Geschichte beeinflussen. Kratzer und Verschleißspuren erzählen davon. Erstmalig zeigte Hoak-Doering die Arbeit 2009 in Nikosia auf Zypern. Sie lieh Möbel mit Bezug zum Zypernkonflikt, der 1974 zur Teilung führte.

Eleni Kamma

 

Parrhesia meint die offene Rede und eine kritische Wahrheit, die mit reinem Gewissen ausgesprochen wird. Gleichzeitig bezeichnet Parrhesia ein Mittel des traditionellen Karagöz-Schattentheaters, das während des Osmanischen Reichs im 19. Jahrhundert eine gefragte Bühne der freien Meinungsäußerung und öffentlichen Teilhabe bot. 

Die beiden antagonistischen Hauptfiguren, Karagöz und Hacivat, parodierten ungestraft moralische und politische Missstände. In Zeiten der Repression in dem Vielvölkerstaat durch die osmanische Obrigkeit erzählten sie Geschichten, die die Bevölkerung bewegten. In der ersten Sequenz des Films »Yar bana bir eglence. Notes on Parrhesia« holen die drei Schauspieler tief Luft, als machten sie sich gegenseitig Mut zur Meinungsäußerung. »Oh, auf ein bisschen Unterhaltung!«, so der deutsche Sinn des türkischen Titels, ist die traditionelle Grußformel des Karagöz-Schattenspiels. Die griechische Künstlerin Eleni Kamma filmt die Arbeit der wenigen, auch heute noch aktiven Puppenspieler. Sie wechselt zwischen Blicken hinter die Theaterkulissen und Filmfragmenten aus dem zyprischen Fernseharchiv. Türkische, zyprische und griechische Puppenspieler diskutieren die politische Rolle von Karagöz und den gekonnten Einsatz seiner satirischen Ausdrucksmittel. 

Dort knüpft Kamma an und setzt die freie Parodie des Karagöz in Bezug zu den Gezi-Park-Demonstrationen, die 2013 gegen die Bebauung des Parks neben dem Istanbuler Taksim-Platz protestierten und die sich zu einer landesweiten Bewegung gegen die repressive Politik in der Türkei  entwickelten. Die Akteure nutzten vor allem auch kreative und humoristische Protestformen.  

Das Filmprojekt verknüpft die Ebenen des Dokumentarischen mit der Symbolkraft des Schattenspiels. Die Schattenwand ist Projektionsfläche und Spiegel zugleich. Kamma spannt den Bogen zwischen zwei Formen des zivilen Ungehorsams: dem aktuellen, politischen Aktivismus und der traditionellen Satire. Inwieweit kann das breite Aufbegehren gegen Restriktionen und eine autoritäre Politik von den alten Meistern lernen?  

Mahmoud Khaled

Mahmoud Khaled inszeniert in seinem Videotriptychon die Suche nach geeigneten Kulissen für einen Pornofilm. Der ägyptische Künstler kombiniert eigene Aufnahmen von Stadträumen in São Paulo, wie Einkaufszentren, Verkehrsadern, Hotellobbys und Konferenzräumen, mit Ton- und Videofragmenten aus dem Online-Archiv der Londoner Produktionsfirma für schwule Pornos »Men at play«. Zentrales Moment der Aufnahmen ist die voyeuristische Perspektive, die das Verhalten zwischen männlichen Darstellern beobachtet und potentielle Drehorte auskundschaftet. Khaled greift Motive des pornografischen Filmgenres auf, etwa das Spähen durch die Lamellen einer Jalousie. Unverfängliche Begebenheiten beim Herrenausstatter oder im Konferenzraum werden durch Anspielungen und Vertraulichkeiten verfänglich. Khaled konfrontiert das integre Umfeld der Businesswelt mit einem Blick auf das Obskure. Kleiderproben, Liegestütze am Schreibtisch und Businesstalks führen männliche Eitelkeiten vor. Gesten und Blickkontakte inszenieren gleichermaßen maskulines Machtgebaren und Begehren. Diese sind nicht nur auf die Filmwelt begrenzt: Ägyptens entmachteter Staats- und Militärchef von 1981 bis 2011 Husni Mubarak war beispielsweise für seine Vorliebe für teure Nadelstreifenanzüge berühmt berüchtigt. Er beauftragte eigens eine britische Manufaktur, seinen Namen in die Nadelstreifen einweben zu lassen. Khaled zerlegt den erzählerischen Rahmen des Filmgenres und unterwandert mit der Dualität von Gezeigtem und Verborgenem, mit Fremd- und Selbstzuschreibungen, Körperkult und Kommerz stereotype Vorstellungen von Sex und Gender. Seine Videoarbeiten bergen politischen Aktivismus und Reflektionen, deren Vokabular aus dem ursprünglichen Kontext entwendet zur Metapher für weltweite und lokale Machtverhältnisse wird.

Zissis Kotionis

Der griechische Künstler, Architekt und Schriftsteller Zissis Kotionis errichtet in der Ausstellung das fiktive Lager CAMP_MED. Es stellt eine temporäre und provisorische Lebensform nach, die den Mittelmeerraum als einen Raum des Transfers, des Reisens und der Handelsrouten charakteristisch zeichnet. Die 14 Lichtinstallationen sind zu einer Assemblage aus Gebrauchsgegenständen zusammengesetzt, die er in unterschiedlichen Mittelmeerländern sammelte. Wasserkanister, Schlafsäcke, Hüte, robuste Arbeitskleidung, Schuhe und Haushaltsequipment aus Plastik montiert Kotionis zu einer Lagersituation, aber auch zu lebensgroßen Figuren, die gleichermaßen Behausung und Bewohner verkörpern. Mit Schüsseln, Schläuchen, Töpfen, Kanistern und Eimern stellt er immer wiederkehrende Bezüge zu fließendem Wasser her. Sie sind so arrangiert, dass ein ständiger Fluss zwischen den Fragmenten der Installation gewährleistet scheint, der in der Verkabelung und der Elektrizität fortgeführt wird. Kotionis wählt eine Metaphorik des Strömens von Wasser und Licht, die den »fließenden Kontinent« und die mit ihm verbundene Mobilität beschreibt. CAMP_MED referiert auf das Instabile und Ephemere, aber auch auf Formen eines ursprünglichen und einfachen Lebens. Bilder hedonistischer und selbstgewählter Naturerlebnisse der westlichen Tourismusindustrie sind mit der Installation ebenso verknüpft wie mit Bildern der Zeltlager und Notunterkünfte in den Krisenregionen der Mittelmeerküste, mit Obdachlosigkeit und gesellschaftlichem Ausstieg. Kotionis erarbeitet räumliche Strukturen, die menschlichen Lebensraum imitieren, an Bedürfnisse angepasst sind und Formen des politischen Aktivismus bergen. Sie können aktiviert werden und sie wirken aktivierend. Dieser Mechanismus ist auch in der mobilen Kleinarchitektur A.D.A.P.T. (Apparatus for Defence Against Police Terror, 2013) angelegt. Kotionis konzipiert das Objekt aus modular variierbaren Holz-und Metalldreiecken, die Demonstranten im politischen Straßenkampf als Schutzschild gegen Wasserwerfer dienen sollen. Die aber auch eine temporäre Bleibe und einen Raum für Rast und Kommunikation bieten.

Mona Marzouk

Mona Marzouks Fabelwesen gleichen einem Schattenspiel gigantischer Insekten. Was als Kriechtier oder Meeresbewohner anmutet, sind die Umrisse von Architekturen, die Klauen, Tentakeln und Beine ausbilden. Das Werk der ägyptischen Künstlerin ist durch Architektur und ihre Wirkung beeinflusst. Sie orientiert sich an der Bildhauerei, mit der sie seit ihrem Studium in Düsseldorf zweidimensionale und dreidimensionale Darstellungen zusammenführte und Skulptur, Architektur und Malerei verknüpfte. Ihre jüngeren Arbeiten entwickeln sich vor allem in der Fläche. Marzouk vermeidet den Duktus des Pinsels und entwirft Bilder, die an Drucke oder Plakatkunst erinnern: eine von Hand geschaffene, beinahe mechanische Perfektion. Die Formen sind verschlüsselte Zeichen. Marzouk bezieht sich mit ihnen auf politisch aufgeladene Themen, wie Krieg, Sport, Nationalismus, Ölindustrie und Raumfahrt. Die großformatigen Wandbilder der Serie »Trayvon« leiten ihren Titel von den medial viel beachteten Gerichtsverhandlungen um den Tod von Trayvon Martin ab. Der siebzehnjährige Afroamerikaner wurde 2012 als angeblich Verdächtiger verfolgt und im späteren Handgemenge durch den Nachbarschaftswachmann erschossen. Ein Jahr später sprach ein US-amerikanisches Gericht den Schützen frei. Landesweite Proteste reagierten auf das Urteil und lösten eine hitzige Diskussion über Rassendiskriminierung in den USA aus. Die Figuren in Marzouks Arbeit »Trayvon« setzen sich aus den Schattenumrissen vom Mobiliar der Gerichtssäle und der Utensilien im Justizvollzug zusammen. Marzouk beschäftigt die Bühne von Gerichtsprozessen. Sie begreift sie als einen »psychologischen Raum, als einen Raum des Streits und als problematisches Konstrukt«. Der Fall Trayvon steht exemplarisch für die Fehlurteile, die weltweit die Parteilichkeit der Rechtssprechung offenlegen. Marzouks Ausgangsüberlegungen befassten sich mit den ägyptischen Gerichtsräumen, deren Rechtsprechung sie zunehmend als Farce empfand. Wie wird das im abgeriegelten Raum Verhandelte zu allgemeinem Recht? Wie wird es öffentlich und welche Rolle spielen die Medien dab

Panayiotis Michael

In Kooperation mit: Christopher Rey Pérez, Erden Kosova, Flavia Malusardi, Isabel Carvalho, Liv Strand, Iordanis Papadopoulos, Pascalle Burton, Peter Eramican, Maria Petrides

Das Buchprojekt A book of small things ist eine Reihe der kleinen Formate. Es handelt sich um fragmentarische Texte, die die Autoren auf ihren Wegen begleiteten. Panayiotis Michael, Künstler und Herausgeber dieser Reihe, lud neun Autoren ein, mit ihm neun Bücher zu gestalten. Die Künstler, Kritiker und Literaten aus Ägypten, Mexiko, England, Schweden, Griechenland und der Türkei steuerten Notizen, Textfragmente und Gefundenes bei. Manche wurden eigens verfasst, andere bereits an anderer Stelle publiziert und einige wären ohne Michaels Projekt nie veröffentlicht worden. Das Buch der Afrikanistin Flavia Malusardi etwa gibt Einblicke in ihre Notizen der letzten Jahre, die Schlaglichter auf die Verflechtungen zwischen dem Nahen und Mittleren Osten und Europa werfen. Sie versammelt ausgewählte Textausschnitte, Mitschriften von Konferenzen und Atelierbesuchen.

Der Kritiker Erden Kosova hingegen beschreibt essayistisch seine Begegnung mit dem Künstler Cengiz Çekil, dem Pionier der türkischen Konzeptkunst, und gibt ein eindrückliches, persönliches und zugleich professionelles Porträt der türkischen Kunstszene. Die Hefte sind für den Gebrauch bestimmt, schlicht und einheitlich gesetzt, auf festem Papier gedruckt und typografisch verspielt. Sie laden zum Kommentieren und zum Verfassen eigener Texte ein.

Dieses Moment setzt Michael in der Präsentation der Bücher als Performance fort. Darsteller sind eingeladen, lesend durch die Ausstellung zu flanieren und selbst gewählte Passagen Besuchern, Kunstwerken und Aufsichten vorzutragen.

Christodoulos Panayiotou

Der Wert ist eine abstrakte und instabile Kategorie. Er basiert auf dem Vertrauen, das Käufer und Verkäufer einer Währung entgegenbringen. Er kann sich aber auch im Vertrauen des Kunstbetrachters definieren, wenn dieser das Exponat im Ausstellungsraum als Kunstobjekt anerkennt. Christodoulos Panayiotou beschäftigt sich mit der Veränderlichkeit von ökonomischen und symbolischen Werten– und mit ihrer Wirkung auf persönliche und kollektive Identitäten. Anhand von Geld, Materialien und Objekten der Repräsentation untersucht der aus Zypern stammende Künstler Strukturen der Wertschöpfung. In den zwei Arbeiten »untitled« greift er dafür auf die Technik des Pulp Painting zurück. Er verwendet Deutsche-Mark-Scheine, eine entwertete Währung, deren Wert im reinen Papierwert besteht. Panayiotou verarbeitet es zu einem zweifarbigen Papierbogen, der durch den handwerklichen Prozess der Papierherstellung veredelt und durch die künstlerische Autorschaft sowie die Präsentation im Kunstraum an Wert gesteigert wird. Das Prinzip der Wertschöpfung vollzieht er auch in seiner fortwährenden Auseinandersetzung mit der zivilgesellschaftlichen Entwicklung, der Identität und der Geschichte der geteilten Insel seiner Herkunft nach. Der provisorische Springbrunnen »The price of copper« (2016) etwa referiert auf einen Materialwert, der aufgrund der weltweiten Kupferknappheit einen hohen Marktwert erreicht. Kupfer birgt aber auch einen bedeutenden, historischen und zugleich identitätsbildenden Wert für die Mittelmeerinsel, die im Altertum ein zentraler Produktionsort des Metalls war. »The shredded money« (2008) wiederum setzt als drei Meter hoher Haufen gehäckselter Banknoten dem Zypernpfund, das mit dem Eintritt der Republik Zypern in die Europäische Währungsunion obsolet geworden war, ein ambivalentes Denkmal. Panayiotou thematisiert eine Entwertung, aber auch einen Mechanismus, den der deutsche Soziologe Dirk Baecker als »die Unruhe des Geldes« bezeichnet hat: eine Abhängigkeit der Währungsstabilität von Zukunftssicherheit und Zukunftsunsicherheit. Der Vertrauensverlust tritt dann ein, wenn am morgigen Tag der Wert verfallen könnte.

Nira Pereg

Für einen Moment steht die Höhle der Patriarchen in Hebron, die Abraham-Moschee, leer. Es ist still und weder muslimisches, noch jüdisches Mobiliar ist zu sehen. Die Ruhestätte der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob sowie ihrer Frauen Sara, Rebecca und Lea gehört zu den wichtigsten Heiligtümern des Judentums, des Islam und des Christentums– und aufgrund ihrer Lage im Palästinensischen Autonomiegebiet ist sie einer der größten Zankäpfel im Nahostkonflikts. Nach dem Anschlag des militanten, jüdischen Siedlers Baruch Goldstein 1994, bei dem 29 muslimische Gläubige ums Leben kamen, wurde der Baukomplex geteilt und ist seither streng militärisch bewacht. Er dient zu 80 Prozent als Moschee und zu 20 Prozent als Synagoge. Doch für 24 Stunden, 20 mal im Jahr und an einem zentralen Festtag, darf die jüdische oder die muslimische Gemeinde allein den gesamten Raum nutzen. Die aus Tel Aviv stammende Künstlerin Nira Pereg filmt zwei dieser Wechsel der Religionen. »Abraham Abraham« verfolgt den Umbau für die muslimische Nacht der Erlösung am 4. Juli 2012, »Sarah Sarah« den Umbau für die jüdische Zeremonie des Parashat »Chayei Sarah« im November. Simultan wird auf zwei Kanälen gezeigt, wie auf der einen Seite unter der strengen Bewachung des Militärs der Tora-schrein geschlossen und das Mobiliar der jüdischen Liturgie entfernt, unterdessen auf der anderen Seite die muslimischen Gebetsteppiche aus dem Raum geschleift werden. Für kurze Zeit herrscht Stille. Dann werden die Gebetsteppiche ausgelegt, während die jüdische Gemeinde das Patriarchengrab betritt. Pereg verwendet Film als Mittel der Dokumentation. Protokollarisch verbleibt die Kamera in einer Einstellung. Perspektivenwechsel werden nur durch Schnitte herbeigeführt. Allein die Geräusche des Schiebens, Schleifens und Scharrens während der Umbauarbeiten begleiten die Aufnahmen des routinierten, beinahe profanen Akts. Pereg stellt ihre Kamera in Grauzonen auf und richtet sie frontal auf Mechanismen religiöser Abgrenzung.

Polys Peslikas

Über Jahrhunderte hinweg wurde in der westlichen Welt das Bild vom »Südländer« gezeichnet. Insbesondere mit dem Aufkommen wissenschaftlicher Zeitschriften im 19. Jahrhundert schuf und forcierte eine deutlich zunehmende Berichterstattung stereotype Charakteristika, die einerseits das Exotische, andererseits den barbarischen Ungläubigen prägte. Künstler und Dichter, etwa Eugène Delacroix und Lord Byron, bereisten die Regionen Nordafrikas, der Türkei und Griechenlands und machten die »Welt des Orients« populär. Auch sie brachten exotisierende Bilder mit, wie die vom bärtigen Mann mit Turban. Peslikas hinterfragt Darstellungskonventionen. In seinen neuen Arbeiten »Studies on variation / Malerei« fragmentiert der auf Zypern lebende und arbeitende Künstler sowohl ein tradiertes Bild, als auch ein klassisches Genre der Malerei: das Porträt. Peslikas bearbeitet in einer Serie von vier Variationen die Konturen einer männlichen Figur mit Turban. Die Frontalansicht entbehrt jeglicher Gesichtszüge und so verbleibt die Gestalt als eine gesichts- und körperlose Hülle, deren Körperform ausschließlich über die Falten ihres Gewands definiert wird. Die Variationen beschreiben unterschiedliche Stadien, in denen Peslikas Flächen überlagert, neu kombiniert und bricht. Sie greifen Motive auf, die stereotyp mit dem mediterranen Raum und der arabischen Identität assoziiert werden, wie etwa der Turban, an Bodenmosaike erinnernde Strukturen und eine Farbgebung, die an hellen Kreidestein und Meereswasser angelehnt ist. Peslikas »Studies on variation / Malerei« problematisieren nicht nur Formen der Repräsentation. Die Studien sind Teil eines nicht abgeschlossenen Schaffensprozesses, mit denen Peslikas der festschreibenden, andere und reversible Darstellungsweisen entgegenstellt.

Alexandros Pissourios

»Es ist schön hier, nicht wahr?«, bemerkt ein junger Syrer, dem Alexandros Pissourios vor kurzem auf Kastellorizo begegnete. Die griechische Insel liegt malerisch in der südöstlichen Ägäis– ein Touristenmagnet. Auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegungen von 2015 erreichten selbst die weiter entfernten Inseln Boote mit zahlreichen Verzweifelten. Trotz allem ist es, stellt der junge Mann fest, ein Stück Paradies– Kastellorizo. Die Tonspur mit Satzfragmenten und kürzeren Textpassagen der beiläufigen Unterhaltung und der spontanen Gedanken des jungen Manns, legt Pissourios auf eine zweiminütige Filmsequenz. Sie entstand ein Jahr zuvor, 2015, auf dem Deck einer Fähre auf ihrem Weg von Lesbos nach Athen. Die Kamera verfolgt in Kniehöhe das Flattern eines Hemdes und einer Jeans im Wind. Daneben lagern gepackte Rucksäcke und gelegentlich gehen Passagiere vorüber. Tonaufnahmen und Bilder korrelieren auf beklemmende Weise. Sie wecken Assoziationen, die mit Reisen und Freiheit verknüpft sind. Zugleich rufen sie Bilder von Menschen auf der Flucht wach. Ihre Reise über das Mittelmeer ist mit Unfreiheit, Zwang, Not und oft mit dem Tod verbunden. In den Sommer- und Herbstmonaten 2015 gelangten täglich mehrere hundert Menschen nach Lesbos und auf die benachbarte Insel Kos. Im September waren es 11.000, die in provisorischen Aufnahmelagern und unter unhaltbaren Bedingungen auf die Fähre nach Athen warteten. Die Videoaufnahmen geben einen Moment scheinbarer Normalität wieder– eine Normalität, die auch der junge Mann auf Kastellorizo heraufbeschwört: Man müsse sich wie ein Tourist benehmen, sich anpassen, um nicht aufzufallen. Pissourios beschreibt einen anhaltenden Bogen zwischen den Ereignissen, die die Bilder vom Fährdeck vermitteln, und dem Zusammentreffen mit dem jungen Syrer ein Jahr später. Seine Erzählungen ranken sich um alltägliche Beobachtungen und zufällige Begebenheiten, in denen die Reichweite des Moments fassbar wird.

Ran Slavin

Die Thora berichtet von der Wolkensäule AMUD ANAN, die als Manifestation Gottes das Volk Israels auf seiner Flucht durch die Wüste führte. »Sie kam zwischen das Lager der Ägypter und das Lager der Israeliten. Die Wolke war da und Finsternis und Blitze erhellten die Nacht. So kamen sie die ganze Nacht einander nicht näher« (Exodus 14:20). Im November 2012 richtet Israel mit einer Militäroperation namens AMUD ANAN seine Waffen auf den Gazastreifen. »Das Ziel der Operation ist, Gaza zurück ins Mittelalter zu schicken. Erst dann wird es in Israel für die nächsten 40 Jahre ruhig sein«, kommentierte der israelische Innenminister Eli Yishai, wiederum in Referenz auf die 40 Jahre andauernde, jüdische Leidensgeschichte in der Wüste auf der Suche nach dem gelobten Land. Die Wolkensäule steigt frei in der Rauminstallation »Variations« auf. Das Motiv kehrt in den futuristischen Wüstenformationen der Videoprojektion als ferne Staubwolken am Horizont, parallel zum Sandboden und über brennenden Autos wieder. Die Wüste wird zum Nährboden für Sicherheitsparanoia, flüssige Realitäten und fiktive Ereignisse. Symbolische Elemente verbinden sich zu einer verschobenen Technologie-paranoiden Welt: rote Sicherheitsinfrarot-Laser, gigantische Sandstrukturen, ein Mars-Mobil, invertierte Wärmekameras, eine vertikale der Schwerkraft trotzende Menge von generierter Menschen, eine hohe Trennmauer. Diese Mauer markiert das Ende einer Zone und den Beginn einer anderen, eine unvorhersehbare, wo jenseits Einöde herrscht. In Science-Fiction-Filmen und Büchern sind die Einöden oft als unwegsames Gelände am Rand der Zivilisation dargestellt, der Anfang einer unbekannten wilden, für barbarisches Unglück anfälligen Zone. Die Videoaufnahmen des israelischen Sound- und Videokünstlers Ran Slavin stammen aus der Judäischen Wüste und dem nördlichen Teil der Wüste Negev. Teile des Gebiets sind heute als Militärübungsfeld für die Öffentlichkeit gesperrt. Slavin bearbeitet das Filmmaterial im hohen Maße nach und lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Realität gezielt verschwimmen. Letztendlich stellt Slavin eine drängende Frage: Wie konnte die Wolkensäule aus der Geschichte vom Exodus der Israeliten in die Gegenwart militärischer und politischer Geschehnisse gelangen?

Paola Yacoub

In Beirut leben 17 Glaubensgemeinschaften und jede besitzt mehr als einen Friedhof. Hinzukommen die Soldatenfriedhöfe aus Kolonial- und Kriegszeiten.Die libanesische Hauptstadt ist von Grabstätten durchzogen. Paola Yacoub fotografierte zwei der Friedhöfe. Die erste Serie zeigt den griechisch-orthodoxen Militärfriedhof Saint Dimitri in Ost-Beirut, die zweite den syrisch-orthodoxen Mar-Elias-Friedhof im Westen der Stadt. Die Dokumentaraufnahmen erfassen Ausschnitte der versehrten Kleinarchitekturen, Grabplatten, rostigen Beton, entkleidete Gruften, Schutt und offenliegende Stahlkonstruktionen. Menschen sind in den Fotografien abwesend und nur vermittelt durch die Andachtsstätten Verstorbener präsent. Die libanesische Künstlerin betreibt seit den 1990ern in ihren Foto- und Filmessays eine »Archäologie«, die territoriale, soziopolitische und historische Narben an Architektur und Landschaften offenlegt. Die Arbeiten sind geprägt von einer Auseinandersetzung mit den Spuren des Libanesischen Bürgerkriegs (1975-1990) im Stadtbild und machen sie wieder kenntlich. Die beiden Fotoserien reagieren auf die religiösen und sozialen Strukturen in der Stadtgesellschaft, die während der 15 Jahre andauernden Kriegszeit entstanden. Die östlich beziehungsweise westlich des hart umkämpften Stadtkerns liegenden Viertel entmischten sich zu einem muslimischen und einen christlichen Teil. Bis heute besteht diese konfessionelle und territoriale Spaltung. Ein zentraler Schauplatz der Kampfhandlungen waren öffentliche Plätze, etwa das Holiday Inn im Zentrum der Stadt und auch Friedhöfe. Sie dienten als Waffenlager und als strategische Punkte für Militärinventionen. Yacoub thematisiert die ausgewiesenen, »regulären« Ruhestätten im Kontext der Massengräber, die auf den Wegen der Friedhöfe entstanden sowie verschwundenen oder nie identifizierten Leichen. Sie bezieht sich damit auf aktuelle Versuche der Stadt, vermisste Personen aufzuspüren. Die Fotografien veranschaulichen aber auch Folgen von Verbrechen im Namen von Religionen und mahnen die Verantwortung an.

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